Insbesondere wenn es schnell gehen muss, ist die sog. Taschenverfügung oder auch Schubladenverfügung ein beliebtes Instrument, um Rechtsverletzungen im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes zügig zu unterbinden und ggf. Plagiate und Piraterieware zu beschlagnahmen.

Besonders auf Messen kommt es immer wieder vor, dass vor allem außereuropäische Anbieter die Marken- oder Patentrechte ihrer Konkurrenz teilweise sehr dreist verletzen und quasi Vollkopien als eigene Produkte anpreisen. Das ist eine der Situationen, in denen es schnell gehen muss, um den durch die Rechtsverletzung drohenden Schaden möglichst gering zu halten. Andernfalls droht die Situation, dass bis zum Erwirken der einstweiligen Verfügung die Messe wieder vorbei ist und der Rechtsverletzer sich unerreichbar wieder ins außereuropäische Ausland begeben hat, wo erschlichtweg nicht mehr greifbar ist. Bislang war es problemlos möglich, die verletzende Handlung schnell zu dokumentieren und mittels entsprechender Glaubhaftmachung eine untersagende einstweilige Verfügung gegen den Verletzer zu erwirken und die rechtsverletzenden Gegenstände beschlagnahmen zu lassen.

Einstweiliger Rechtsschutz ohne Abmahnung und ohne mündliche Verhandlung

Eine vorherige Abmahnung oder eine mündliche Verhandlung gegen den Verletzer gibt es bei der Schubladenverfügung / Taschenverfügung gerade nicht. Erstmalig erfährt der Antragsgegner mit Zustellung der einstweiligen Verfügung von dem gegen ihn geführten Verfahren. Die hieraus resultierende Gefahr der Kostenlast (§ 93 ZPO in Fällen ohne Sequestration) für das Verfahren nimmt man als Antragssteller als geringeres Übel im Vergleich zum Schaden aus der Rechtsverletzung in Kauf. Mittels des oftmals zu Messen eingerichteten Bereitschaftsdienstes bei Gerichten und eines Messegerichtsvollziehers kann die einstweilige Verfügung oft wenige Stunden nach Kenntnisnahme der Verletzung zugestellt werden. Der Antragsgegner wird somit vor vollendeten Tatsachen gestellt. Das hat insbesondere den Vorteil, dass der rechtsverletzende Antragsgegner nicht durch eine Abmahnung vorgewarnt wird und dies etwa nutzen kann, um sich der Folgemaßnahmen durch schnelle Abreise ins außereuropäische Ausland zu entziehen oder zu beschlagnahmende Gegenstände beiseite zu schaffen.

Das Bundesverfassungsgericht sieht grundsätzlich die prozessuale Waffengleichheit verletzt – nennt aber Ausnahmen

Das Bundesverfassungsgericht hatte sich nun mit der Praxis des einstweiligen Rechtsschutzes ohne vorherige Beteiligung des Antragsgegners zu beschäftigen. Vorweg sei gesagt, dass sich die Entscheidung (BVerfG – 1 BvR 1783/17) nicht konkret auf den gewerblichen Rechtsschutz und auch nicht konkret auf die Schubladenverfügung / Taschenverfügung, sondern auf („allgemeine“) einstweilige Verfügungen im Presserecht bezieht. Die Umstände sind dennoch vergleichbar, denn der Stein des Anstoßes ist die Parallelität der fehlenden Beteiligung des Antragsgegners vor Erlass einer einstweiligen Verfügung durch eine vorprozessuale Abmahnung oder eine mündliche Verhandlung. Allgemein betrachtet wirkt das nachvollziehbar, denn es wirkt unbillig, wenn der Betroffene einer gerichtlichen Maßnahme bzw. der Verpflichtete eines gerichtlichen Titels nicht zuvor gehört wird. Jedoch wird diese Sichtweise der o. g. Praxis der „Flucht“ vor der Zustellung einer einstweiligen Verfügung nicht gerecht. Denn gerade hier droht die Vereitelung des Zwecks der Maßnahme durch die genannte Entziehung vor den Folgemaßnahmen.

Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes benennt in seiner Entscheidung daher explizit, dass eine vorherige Anhörung in Ausnahmefällen weiterhin verzichtbar ist. Ausnahmefälle sollen gegeben sein, wenn die Anhörung selbst den Zweck des Verfahrens vereiteln würde. Das sei etwa der Fall im ZPO-Arrestverfahren, bei der Anordnung von Untersuchungshaft oder bei Wohnungsdurchsuchungen. In diesen Fällen reiche es aus, nachträglich Gehör zu gewähren. Das bedeutet, dass sobald (neben dem Unterlassungsbegehren) rechtsverletzende Gegenstände zu beschlagnahmen sind, die einer Entziehungsgefahr unterliegen, auch weiterhin eine Schubladenverfügung / Taschenverfügung problemlos möglich ist. Letzteres empfiehlt sich ohnehin angesichts der Minimierung des Kostenrisikos. Auch ohne die Beschlagnahme sollte bei ausreichender Darlegung der Entziehungsgefahr weiterhin eine vorherige Abmahnung und mündliche Verhandlung nicht von Nöten sein.

Fazit – Der fade Beigeschmack bleibt

Auch wenn letztlich eine Totsagung der Schubladenverfügung / Taschenverfügung von dem einen oder anderen sicherlich verfrüht ausgerufen worden ist, bleibt auf Seiten des Antragstellers insbesondere in den Fällen ohne Beschlagnahme/Sequestration ein größeres Risiko, dass eine einstweilige Verfügung eben nicht ohne die vorherige Abmahnung oder anderweitige Verfahrensbeteiligung des Antragsgegners erlassen wird.

Es ist daher dringend anzuraten, sich bei künftigen Anträgen auf Schubladenverfügungen / Taschenverfügungen nicht auf die allgemeine Eilbedürftigkeit und floskelhafte Ausführungen zu Messe-Umständen zu beschränken, sondern sich individuell mit der drohenden Zweckvereitelung der Maßnahme bei vorheriger Anhörung in der konkreten Situation auseinanderzusetzen und das Gericht hiervon zu überzeugen.